Es ist und
bleibt ein Glück,
vielleicht das Höchste,
frei atmen zu können.
(Theodor Fontane)
Ja, der Atem spielt, er spielt dasselbe
Spiel das die Wellen der Ozeane an den Sandstränden einsamer Inseln spielen:
Sie bauen sich auf und verebben, ein Kommen und Gehen, ein Heben und Senken.
So auch der Atem: Er strömt ein und
aus, die Bauchdecke hebt und senkt sich. Wie als würde ich am Sandstrand sitzen
und dem Kommen und Gehen der Wellen zuschauen, so kann ich dem Spiel des ein- und ausströmenden Atems innerlich zuschauen.
Ich empfinde sein Wesen, seine
Qualität, und wenn ich mich vollständig auf ihn einzulassen vermag, dann
verschwindet alles Darumherum und nur noch das Entstehen und Vergehen des
kontinuierlichen Ein- und Ausatmens ist als bewusstes Werden, als fliessendes
Bewusstwerden, gegenwärtig.
Wenn das geschieht, entsteht eine
stille Freude, eine innere Ruhe und Gestilltheit, der ich mich nun überlassen
kann und die als Kraft der Stille zum Fundament des unmittelbar erlebten Wirkens
der Präsenz zu werden vermag.
Eine
der schönsten Beschreibungen der Atem-Meditation stammt von Stephen und Ondrea Levine in ihrem
Buch In Liebe umarmen - der
spirituelle Wegweiser für Liebende. Diese Anleitung zitiere ich hier:
Richte deine
Aufmerksamkeit auf diesen Körper, in dem du sitzt. Führe das Gewahrsein auf die
Ebene körperlicher Empfindung. Fühle, wie dieser Körper vor Empfindung vibriert.
Einzelne Empfindungen stehen im Vordergrund. Da ist das Gefühl der Schwerkraft,
die den Körper nach unten zieht, das Druckgefühl im Gesäss oder das Gefühl der
Füsse, die zu Boden gezogen werden. Druck. Empfindung.
Den Atem spürt man im Körper. Die Brust dehnt sich bei jedem Einatmen aus –
Empfindungen entstehen. Und bei jedem Ausatmen zieht sich die Brust zusammen.
Empfindungen
steigen auf. Auch im Bauch – jeder Atemzug weitet und verengt ihn wieder. Mit
jedem Einatmen hebt sich der Bauch. Empfindungen des Streckens oder
Sich-Füllens. Mit jedem Ausatmen senkt sich der Bauch. Empfindungen des
Sich-Leerens oder Loslassens. Der Bauch hebt und senkt sich. Empfindungen des
Atems im Körper.
Jeder Atemzug ist
voller Empfindungen. Von Moment zu Moment verändert sich ihr Strom, der jedes
Einatmen, jedes Ausatmen begleitet. Das Gewahrsein zentriert sich im Bauch und
erfährt Augenblick für Augenblick die Empfindung jedes einzelnen Atemzuges.
Konstantes Gewahrsein, konstante Empfindungen im Bauch – während er sich füllt
und während er sich leert.
Achtsames Atmen.
Achtsames Atmen. Wenn der Geist von der Empfindung abschweift, dann führe ihn
sanft zurück zur konstanten Ausbreitung des Empfindens – in jedem Einatmen, in
jedem Ausatmen.
Entspanne den
Bauch, um den Atem vollständig wahrzunehmen. Kontrolliere den Atem nicht.
Erlebe ihn einfach als Empfindung im weichen Bauch. Entspanne den Bauch und
erfahre in dieser Weichheit das Leben als Empfindung.
Wenn Gedanken
erscheinen, dann lass sie kommen. Und lass sie gehen. Nur Seifenblasen, die in
der Sanftheit schweben. Führe immer wieder das Gewahrsein zu den Empfindungen
zurück, die jedes Einatmen, jedes Ausatmen begleiten.
Auch Erwartung kann
den Bauch verhärten, kann den Gedanken und Empfindungen die Freiheit nehmen, einfach
im Gewahrsein schweben zu können.
Angst. Stolz. Wut.
Zweifel. Zustände des Geistes entstehen und vergehen in der unendlichen
Sanftheit eines weiträumigen Gewahrseins. Kehre aufmerksam zu den Empfindungen
zurück, die den Atem begleiten, und registriere einfach, was sonst erscheint –
ohne es festzuhalten. Lass es kommen. Lass es gehen.
Lass los. Kehre
immer wieder zu den Empfindungen zurück, die jeden Atemzug begleiten. Halte
nichts fest. Sei nur der Atem, der sich selbst im weichen Bauche atmet. Löse
dich von allem, was erscheint. Entspanne den Bauch, kehre zum Atem zurück.
Entspanne den
Bauch. Kehre zum Atem zurück. Achte genau auf den Beginn jedes Einatmens. Achte
auf die folgende Pause, auf den genauen Beginn jedes Ausatmens wie auch auf
sein Ende.
Achte auf den
Moment, wo der Atem zu ruhen scheint und wieder einzuströmen beginnt. Achte auf
den Zeitpunkt, wo das Ausatmen endet und das Einatmen beginnt.
Gewahrsein und
Empfindung verbinden sich von Moment zu Moment im weichen Bauch. Der Atem atmet
sich selbst. Lass ihn kommen. Und lass ihn im Gewahrsein gehen.
Wenn die
Aufmerksamkeit in Gedanken, Erinnerungen, Gefühle oder Träumereien abgleitet,
dann beobachte ihr Kommen – und beobachte ihr Gehen. Kehre dann ohne die
geringste Bewertung sanft zu den Empfindungen des Atems zurück.
Wenn der Geist
abschweift, dann registriere einfach dieses Denken, Fühlen, Sich-Erinnern,
welches das Gewahrsein von der Empfindung des Atems abgelenkt hat. Kehre zuerst
zum weichen Bauch und dann zu den Empfindungen zurück, die bei jedem Einatmen,
bei jedem Ausatmen entstehen.
Achte genau auf den
Beginn, die Mitte und das Ende jedes Einatmens. Beachte die entstehende Pause.
Registriere den Anfang, die Mitte und das Ende jedes Ausatmens. Empfindungen
schweben im weichen Bauch.
Bleibe präsent. Sei
nachsichtig, wenn der Geist schon nach zwei oder drei Atemzügen
umherzuschweifen beginnt. Führe ihn zum Gewahrsein der Empfindungen im weichen
Bauch zurück.
Langeweile, Erwartung, Phantasien – alles kommt und geht. Gefühle und Gedanken
erscheinen unaufgefordert. Registriere einfach Bewegung, Veränderung. Und
kehre zum Atem zurück.
Konstante
Empfindung. Konstantes Gewahrsein. Das Einsetzen, die Mitte und das Ende jedes
Einatmens, die entstehende Pause. Der Beginn, die Mitte und das Ende jedes
Ausatmens – und der Moment, wenn sich der ausströmende Atem in den
einströmenden Atem verwandelt. Äusserst präzise Aufmerksamkeit auf immer
feinere Empfindungen, die mit den Atemzügen erscheinen.
Achtsames Atmen.
Der Bauch hebt sich. Der Bauch senkt sich. Empfindungen erscheinen im klaren
Gewahrsein. Der Atem atmet sich selbst im weichen Bauch.
Jeder Atemzug ist
kostbar, ist erfüllt vom wechselnden Strom der Empfindung. Wenn der Geist
abschweift, dann führe ihn zum weichen Bauch zurück und zentriere dich in den
Empfindungen, die in diesem Bauch schweben. Konstante Empfindung – konstantes
Gewahrsein.
Lass deine Aufmerksamkeit nun zum gesamten Körper zurückkehren. Dehne die
Aufmerksamkeit aus, bis sie nicht nur den Bauch, sondern alle Empfindungen
dieses Körpers umfasst, in dem du bist. Spüre das Atmen, das Sitzen, das Sein
dieses ganzen Körpers, in dem du bist. Konstantes Gewahrsein des konstanten
Seins im Körper. Der Atem kommt und geht, Empfindungen erscheinen ganz von
selbst in klarem Gewahrsein.
Achtsamkeit ruht im
Sein.
Öffne nun sanft die
Augen. Achtsam gegenüber dem Sehen, dem Fühlen, dem Hören, dem Schmecken, dem
Berühren, dem Denken. Achtsam gegenüber dem Sein.
Konstantes
Gewahrsein. Konstante Lebendigkeit. Achtsames Sein. Achtsames Atmen.
Stephen und Ondrea Levine
Die Achtsamkeit auf das Spiel des Atmens
praktizieren wir im Retreat in 30-minütigen Sequenzen. Sie kann aber auch
jederzeit im Alltag praktiziert werden, sei es beim Warten auf irgendetwas, sei
es im Bus oder Zug, sei es einfach zuhause während einer kürzeren oder längeren
Ruhepause.
Wir beobachten das Spiel des Atems im
Wechsel des Ein- und Ausatmens und in der Qualität des Atmens, sowie das Spiel
des reinen Beobachtens des Atems und das Spiel des Abschweifens und
Zurückkehrens der Achtsamkeit zum Atem.
Alles ist ein lebendiges Spiel, das
Spiel des Lebens, und wenn wir es ernst aber nicht zu ernst nehmen, dann können
wir lernen, wie das Spiel des Lebens mit spielerischem Ernst ernsthaft gespielt
werden kann. Wenn das gelingt, dann macht das Spiel Freude, dann macht das
Leben Freude.